Kung-Fu Peter


Ich bin Ersthelfer seit nunmehr zwei Jahren. Demnächst steht eine Nachschulung an. Sechseinhalb Stunden Leben retten an einer Puppe. Das ganze um Hochoffiziel Pflasterchen an Die Fingerchen meiner Kollegen zu heften. Die Große Katastrophe blieb ja Gottlob aus. Nur ein gewisser Norbert bereitete mir mit seinem blutenden Daumen Kopfschmerzen und eine rot gesprenkelte Kochjacke. Er hatte sich an einer Scherbe geschnitten und wollte gerne ins Krankenhaus, aber ich beließ es beim Verpflastern. Hätte ich geahnt, dass er mir den ganzen Tag mit seinem Kuchengriffel auf den Wecker fällt, hätte ich sofort den Notarzt gerufen und um Habmichliebjäckchen sowie eine Reservierung in der Spongebobzelle gebeten. Eine Mischung aus Crusty dem Clown und einem Sechsundfünzigjährigen Dorfjungen der sich Hobbymäßig in einer Telefonzelle verläuft sie aber nicht findet selbst wenn sie auf ihn fällt. Doch auch dieses Drama fand ein gutes Ende.

Brenzlig wurde es nur einmal außerhalb des Betriebes auf dem Weg zu selbigem.

Ich bog gerade um die Ecke zum Bahnhof, als auf der Gegenüberliegenden Seite ein Mann mit rotem Rollkoffer Maikäferartig auf den Rücken fiel. Es sah ein bisschen so aus als hätte der Koffer ihn geschubst. Während sich die Gaffergemeinde langsam einfand rannte ich hinüber und kniete mich zu ihm. Natürlich vergaß ich nicht den coolen Blick aufzulegen welcher hilflose Passanten ehrfurchtsvoll zurückweichen lässt. Während ich nach außen wie Eis wirkte, ratterte ich innerlich jeden Schritt durch welchen ich gelernt hatte. Ansprechen, Stabile Seitenlage und einen Pfeffi bereithalten für den Fall einer Wiederbelebung. Die Stabile Seitenlage war mehr oder weniger stabil auch wenn ich nicht so recht wusste, wohin mit seinem Arm. Verdammt, warum müssen Menschen auch soviel Arme haben? Ich sprach ihn auf deutsch und englisch an.

„Geht es ihnen gut?“ Eigentlich eine selten dämliche Frage, denn er lag ja nicht da um seltene Insekten zu finden.

„Ja“, murmelte er zurück.

„Do you speak German?“ Keine Antwort.

„Sprechen sie Deutsch“? Die Antwort kam nicht verbal, sondern sehr physisch.

Wie Ein Känguru nach dem Läuten der Ringglocke sprang er auf und begann mich als dummer deutscher zu beschimpfen. Wie ein verschrecktes Reh, dem der coole Blick mal eben in die Hose rutschte hopste ich kreischend in sichere Entfernung, um nicht von seinem Stiefel getroffen zu werden.

Als er auf seinen zwei wackeligen Beinen stand brauchte, es einige Zeit bis seine Orientierung einsetzte und da er mich nicht gleich finden konnte fixierte er mit gefletschtem Blick seinen Koffer und begann ihn zu treten und zu verprügeln als hätte dieser ihn tatsächlich geschubst.

Während ich immer noch ganz verschreckt und unsicher in vermeintlich sicherer Entfernung stand entdeckten seine weit aufgerissenen Augen meine Wenigkeit. Er torkelte zielsicher auf mich zu während er mit Lufttritten in meine Richtung zielte und fluchte wie ein arabischer Kamelhändler, den man um sein Bakschisch beschissen hatte. Der Gedanke gleich von einem völlig wahnsinnigen, vermutlich betrunken und unter Drogen stehend, verhauen zu werden ließ mich langsam aber rückwärts ins Bahnhofsgebäude schleichen. Der Anblick des Koffers ließ nichts gutes für mich ahnen und so brauchte ich eine schnelle Lösung. Sein immer noch schwankender Gang ließ mich vermuten, dass ich schneller die Treppe hochkomme als er. Dieser Kung-Fu Peter erhöhte jetzt sein Tempo und ich beschloss dasselbe zu tun. Vier fünf Stufen auf einmal ohne mich umzusehen und als ich oben war, beschloss ich sicherheitshalber noch die Rolltreppe zum Busbahnhof zu erklimmen. Von oben konnte ich durch die Glasscheibe sehen, dass er es tatsächlich schaffte die Stufen in annehmbarer Zeit zu bezwingen. Wie eine Gazelle sprang er die Stufen empor. Ich umkreiste die Busstation um auf der anderen Seite wieder hinunter zu den S-Bahn Gleisen zu gelangen. Er war nicht in Sichtweite und ich hoffte es geschafft zu haben. Was ich bei meiner Odysee nicht mitbekam war, die Tatsache, dass er schon vor mir auf den Bahnsteig gelangte. Eine Handvoll Menschen versuchte nun ihn daran zu hindern auf die Gleise zu fallen. Er lag am Boden und versuchte wieder auf die Wackelbeine zu kommen, aber diese gehorchten ihm nur wenn er Tritte verteilen wollte. Mich hatte er längst vergessen genau wie seinen demolierten Koffer der einsam vorm Gebäude Stand. Dennoch fühlte ich mich bemüßigt die Bahnsicherheit herbei zu rufen, um dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Nach mehrmaligem Klopfen an das Häuschen öffnete mir ein mürrischer alter Mann und fragte, was ich denn wolle. Es überraschte mich , dass er diesen Lärm gar nicht bemerkte. Ich schilderte, was vorgefallen ist und bat um die Sicherheit.

„Det is nicht mein Job, dafür jibt et Notrufsäulen.“ Sein berlinerisch verwunderte mich dann doch ein wenig hier in Hamburg. Er packte seine Kekse auf den Tisch und klopfte sich die Krümel aus der Uniform, bevor er mit raus kam. Noch bevor wir die Säule bemüßigten, stand bereits ein Tross Polizisten herum und beäugte Kung-Fu Peter. Der Bahnangestellte war rasch wieder in seiner Kajüte und mir war, als könnte ich das genüssliche Krachen eines Kekses hören.

Unsicher standen die Beamten herum und wußten nichts so recht mit ihm anzufangen. Gerade als ich erwähnte, dass der Mann aggressiv und gefährlich sei sprang er wie eine Gazelle auf und kickte einer umstehenden Frau gegen die Tasche. Ich glaube mittlerweile, er hatte eine Gepäckphobie. Nicht ich war sein Gegner, sondern mein Rucksack, sein Koffer und die Handtasche der Dame. Die Polizei rang ihn nieder und begann, als er die Gegenwehr einstellte, seine Taschen auszuräumen. Ich habe niemals soviel Plunder und Müll in den Taschen eines einzelnen Menschen gesehen. Tonnenweise Bonbonpapier, Kippenstummel, Kleingeld, Sand über Sand und alte Taschentücher. Ich meine zu erinnern, dass auch eine Pillenpackung dabei war. Vermutlich der Ursprung, die Saat für diese wunderbare Story. Ich danke dir Kung-Fu Peter und dein Koffer, möge in Frieden ruhen.